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03.08.2018

Dialog - nein Danke!?

Dialog - nein Danke!?

Die meisten Beobachter waren optimistisch. Multilaterale Zusammenarbeit, Partizipation und Teilhabe, die Überwindung autokratischer Systeme und friedliche Revolutionen schienen einen unumkehrbaren Trend zu Demokratie, Solidarität und Teilhabe zu versprechen. Um so größer ist jetzt die Enttäuschung, ja das Entsetzen: Nicht nur  über die Tatsache, das autokratische Systeme sich erneuern und stabilisieren und das die üblichen Verdächtigen zum offenen Rechtsbruch aufrufen und Menschen ihr Recht auf Rechte bestreiten. Vielmehr und viel alarmierender: Zuletzt mussten wir erleben, dass auch europäische und US-amerikanische Akteure Fundamente unserer Rechtsordnung und Gesellschaftsordnung offen angreifen.

In den nachfolgenden Betrachtungen, wende ich mich zunächst den Gefährdungen für dialogische Auseinandersetzungen durch die perforierende Strategie sogenannter Populisten zu, um anschließend dazulegen, wie wir uns dagegen erfolgreich wehren können. 

Populisten greifen unsere freie Gesellschaftsordnung an

Zusammenarbeit, Dialogbereitschaft und die Fähigkeit für die komplexen Herausforderungen unserer globalisierten Wirtschaft angemessene politische und gesellschaftliche Antworten zu finden, scheinen nicht mehr gefragt zu sein. Vielmehr fordern Populisten Sonderrechte und Privilegien für einige und den Ausschluss der dann als "Andere" definierten Menschen. Sie berufen sich dabei auf das von ihnen selbst erfundene und propagierte Narrativ des "einen Volkes" zu dem man qua Geburt gehört oder eben nicht. Die Verweigerung des Rechts auf Rechte für die, die dann nicht dazu gehören, wird vor allem in zwei Strängen diskutiert: Sicherheit und Migration. Zum einen wird aus der Existenz einer latenten Terrorgefahr abgeleitet, das Grundpfeiler unserer Rechtsordnung aus "Sicherheitsgründen" nicht aufrecht zu erhalten seien. Dazu gehören so fundamentale Rechte wie das Recht auf Privatsphäre oder das Recht auf freie Meinungsäußerung. Überwachung und Kontrolle sollen die Sicherheit garantieren und gehen doch in aller Regel auf Kosten unserer Bürgerrechte. Unsere Freizügigkeit wurde selbst im selbstgefälligen Europa bereits wieder eingeschränkt mit dem Hinweis auf Migration und die Gefahr, die aus ihr für unser Gemeinwesen ausgehen soll. Die Einschränkung der Meinungsfreiheit und die willkürliche Inhaftierung von Journalisten und Aktivisten mit der Begründung, damit würden terroristische Umtriebe verhindert, findet sich nicht nur in autokratischen Regimen. Auch bei uns häufen sich die Fälle, bei denen die Kontrolle der Sicherheitsorgane erst im Nachhinein ein erschreckendes Rechtsbewusstsein bei den Akteuren offenbart und bei denen Migranten ihre Rechte auf Recht verweigert wurden. Und allerorten finden sich Stimmen, die diesen Ansätzen ihre Rationalität und Sinnhaftigkeit zu verleihen suchen. Am auffälligsten im Umgang der Medien mit den Trumps, Erdogan, Xis, Putins und Orbans dieser Welt. Indem sie deren Äußerungen wie normale Nachrichten behandeln, werden sie Teil einer Bewegung, die uns nicht mehr erkennen lässt, was da eigentlich geschieht. Wenn zu offenen Rechtsbrüchen aufgerufen wird, dann ist das eben nicht "Klartext" sprechen, sondern genau das: Ein Aufruf zum Rechtsbruch. Nur allmählich begreifen die Medien, welche Verantwortung sie hier haben.

Meinungsäußerung ohne das Recht auf Kritik

Wir müssen erstaunliches Erleben. Mit dem Verweis auf die freie Meinungsäußerung wird behauptet, "man werde das ja mal sagen dürfen", selbst wenn die Aussagen rassistisch, menschenverachtend und diskriminierend sind. Qualifiziert man dann diese Aussage als das was sie sind, dann wird behauptet, dies sei ein Redeverbot und Zensur. Zur offenen Gesellschaft gehört aber eben nicht nur das Recht, seine Meinung frei äußern zu dürfen, sondern auch das Recht aller anderen, diese Meinung kritisieren zu dürfen. Die Behauptung dabei würde es sich um ein Redeverbot handeln, perforiert somit unsere Rechts- und Gesellschaftsordnung. Es gibt in der offenen Gesellschaft eben gerade kein Recht auf eine unwidersprochene Meinung. Dies ist ein wesentliches Merkmal geschlossener, autokratischer Systeme. Indem also diejenigen, die unsere Ordnung angreifen, die Werte der offenen Gesellschaft für sich in Anspruch nehmen und sie gleichzeitig ihren Kritikern verwehren, perforieren sie Freiheit, Demokratie und Toleranz.

Räume zurückerobern

Auf der Strecke bleibt damit zum einen unsere Rechtsordnung, die den Rahmen dafür bildet, dass freie Menschen an politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen teilhaben können und so leben können, wie sie es selbstbestimmt wollen. Indem jedoch der Rechtsrahmen perforiert, verlieren wir auch zunehmend die Räume, in denen ein offener, kritischer Diskurs möglich wird. Die zentrale Herausforderung heute ist somit, dass wir einerseits unsere Kritik an den Unzulänglichkeiten, Ambivalenzen und systemimmanenten Mängeln der politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ordnung aufrecht erhalten und gleichzeitig dafür kämpfen, die Ordnung zu stärken, die die Voraussetzungen für Zusammenarbeit, Vielfalt und dialogische Prozesse schafft.

Plädoyer für den Wert des Streits

Wir müssen daher wieder und offensichtlich jetzt auch unter erschwerten Bedingungen unser Plädoyer für den Wert des Streitens, der Auseinandersetzung und der gemeinsamen Suche nach Lösungen noch wirksamer machen. Dies scheint gerade in Deutschland nicht einfach zu sein. Es ist mehr als fraglich, ob in Deutschland überhaupt eine Bewegung existiert, die die offene Gesellschaft verteidigen will. Eine Bewegung zeichnet sich in der Regel durch ein Netzwerk von Gruppen und Organisationen aus, die gestützt auf eine kollektive Identität, eine gewisse Kontinuität des Protestgeschehens sichert und das alles mit dem Anspruch auf Gestaltung des gesellschaftlichen Wandels verknüpft. (vgl. Roth, Roland/Rucht, Dieter: Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945, 2008). Es fällt schwer, eine solche Bewegung in Deutschland zu identifizieren. 

Ohne Streit keine gemeinsamen Lösungen

Der Streit hat ja erst einmal keine guten Ruf. Er gilt als etwas, was wir tunlichst zu vermeiden haben. Bei Streit denken wir an Menschen, die sich nicht zu hören, an lautstarke Auseinandersetzungen, an Macht und Gewalt. Doch schauen wir genauer hin, können wir dem Streit eine Menge positiver Seiten abgewinnen. Wer streitet, hat eine Position, eine Sicht der Wirklichkeit und will etwas erreichen. Er oder sie trifft dabei offensichtlich auf Widerspruch und muss sich mit diesem Auseinandersetzen. Da es offensichtlich an Machtmitteln fehlt, sich alleine durchzusetzen, führt an dieser Auseinandersetzung kein Weg vorbei. Recht hat die Aufgabe, diese Räume zu schaffen. Denn nur wer frei von Angst vor Repressionen und Nachteilen seine Meinung vertreten kann, wird dies auch offen tun. Doch die Räume, die geschaffen werden, muss man auch betreten können. Dafür braucht es den Willen und die Fähigkeiten zum Dialog.

Fähigkeiten sind gefragt

Selbst in einer gesicherten Rechtsordnung benötigen Menschen vielfältige Kompetenzen und Fähigkeiten, um mit widersprechenden Meinungen und Ansichten konstruktiv umgehen zu können. Dialogische Kompetenzen sind hier gefragt - dies umfasst die Fähigkeit der Selbst- und Fremdwahrnehmung, die Fähigkeit zum zuhören und die Fähigkeit, eigene Wahrnehmungen angemessen ausdrücken zu können. Die Fähigkeit zum Perspektivwechsel und ein gewisses Einfühlungsvermögen ebenso, wie die Fähigkeit eigene Empfindungen und Gefühle wahrnehmen und artikulieren zu können. Nicht zuletzt braucht es auch die intellektuellen Fähigkeiten sich mit logisch-sachlichen Argumenten auseinandersetzen zu können. Dialogfähigkeit erfordert den Willen und die Fähigkeit zu verstehen und dafür Wissen und Erfahrungen in den passenden Kontext einzubinden. Es bedarf also einer gewissen Flexibilität in der Wahrnehmung und im Denken, die sowohl die Details als auch das große Ganze im Blick behält. Das rationale ebenso wie das emotionale. Es erfordert die Fähigkeit, sich über eigene Beweggründe, Werte und Überzeugungen im klaren zu sein und ein ausreichendes Selbstwertgefühl, diese auch zur Disposition zu stellen. Kurz: Auseinandersetzungen zu führen ist anspruchsvoll. Sehr viel anspruchsvoller, als in geschlossenen Systemen Ansagen zu machen oder zu befolgen, was einem gesagt wird. Warum sollte man sich also dieser Anstrengung stellen?

Worin lieg der Mehrwert der dialogischen Auseinandersetzung?

Wir alle wissen es im Grunde genommen. Zunächst einmal ist es eine normative Forderung, dass wir das fundamentale Recht auf Meinungsäußerung prinzipiell achten und schützen müssen, wenn wir in einer offenen, humanen Gesellschaft leben wollen. Doch darüber hinaus hat es auch einen weiteren positiven Effekt: Mehrere Augen sehen mehr, als nur einer. In einer komplexen und dynamischen Welt, kann kein Mensch für sich in Anspruch nehmen, die Wahrheit zu kennen. Die Zukunft ist ungewiss und muss und darf gestaltet werden. Vielfalt hilft hier, Unterschiede wahrzunehmen, andere sehen andere Chancen und Risiken. Je umfassender die Wahrnehmung ist, je besser man sich über eigene Erwartungen, Werte und Überzeugungen austauschen kann, desto besser werden die dann zu treffenden Entscheidungen sein. Denn darum geht es beim Streiten: Irgendetwas verlangt eine Entscheidung. Und wenn wir die beste Entscheidung treffen wollen, tun wir gut daran, möglichst unterschiedliche Sichtweisen, Wissen und Erfahrungen einzubeziehen. Idealerweise entsteht somit aus einer dialogischen Auseinandersetzung ein Mehrwert, den keiner der Streitparteien alleine hätte herstellen können. 

Was ist zu tun?

Das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Recht auf Freizügigkeit, das Recht auf Privatsphäre - sie alle stehen unter dem perforierenden Dauerbeschuss durch Populisten. Diese Rechte sind über Jahrhunderte von unseren Vorfahren erkämpft worden und alles andere als selbstverständlich. Die Zivilisation ist eine dünne Eisdecke, die jederzeit brechen kann. Die gute Nachricht ist, dass keine der Angriffe auf unsere Zivilisation ohne Widerrede geblieben ist. Noch besser ist, dass sich Bewegungen formieren, die beispielsweise für Europa eintreten (www.we-are-europe.org) oder aber auch direkt für die offene Gesellschaft. (www.die-offene-gesellschaft.de). Neben diesen positiven Protestbewegungen, müssen wir aber auch massiv in Bildung und soziale Teilhabe investieren. Die Fähigkeit zum Dialog und zur Auseinandersetzung kann und muss erlernt und eingeübt werden. Dies betrifft nicht nur unser Bildungssystem, sondern auch den gesamten Bereich des "lebenslangen Lernens".

Mediative Kompetenzen sind Teil der Lösung

Es ist klar, dass wir hier die Mediation als Haltung in der Verantwortung sehen. Je mehr Menschen die Fähigkeit erlernen, mediativ mit Konflikten umzugehen und somit echte, konstruktive Auseinandersetzungen zu führen, desto robuster wird sich unsere offene Gesellschaft entwickeln können. Selbstgefälligkeit und die Hoffnung, dass andere das für uns schon richten werden, reichen hier nicht aus. Jede und Jeder ist aufgerufen, hier mit zu wirken. Wer die erneute Negation der offenen Gesellschaft, ihrer Rechtsordnung und ihrer gesellschaftlichen Fähigkeit zu dialogischen Lösungen hinnimmt, der muss sich nicht wundern, wenn Dialog, Teilhabe, Toleranz und Mitwirkung in unserer Zukunft keinen Platz mehr haben werden. Genug Gründe also, sich einzubringen und sich für die offene Gesellschaft einzusetzen. Die offene Gesellschaft lebt von der Mitwirkung. Sie lebt davon, dass die Menschen, die so leben wollen, sich aktiv einbringen. An ihrem Arbeitsplatz, im öffentlichen Raum, bei Protesten und Demonstrationen, in den Medien und der Politik. Die offene Gesellschaft ist ihrer Natur nach nie fertig, sondern lebt vom immerwährendem Werden. Dafür müssen wir alle aktiv sein. Dann werden wir gemeinsam an einer Zukunft mitwirken, in der Gerechtigkeit im globalen Maßstab irgendwann keine Utopie mehr sein muss.

Thomas R. Henschel

Tags: News  

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