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20.04.2021

Wie die Neuzeit den Menschen sich selbst entfremdete und was wir brauchen, um uns als Gleiche unter Gleichen frei und selbstbestimmt zu begegnen.

Räume schaffen, in denen gemeinsam Denken und Handeln möglich wird - Gleichberechtigt - Kreativ - Gemeinsam

Die Mediation ist eine Möglichkeit Räume für Menschen zu öffnen, in denen sie sich begegnen und gemeinsames sprechen und handeln möglich wird. Indem die unterschiedlichen Perspektiven gleichberechtigt geäußert und gehört werden, entsteht im eigentlichen Sinne erst die Welt. Denn wenn alle Menschen alles gleich sehen, dann wird die Welt eindimensional oder - wie Hannah Arendt das nannte - weltlos.

Wie wir die Welt wahrnehmen - eine kurze Reise durch die Geschichte
In unseren Ausbildungen diskutieren wir regelmäßig die grundlegenden Ansätze wie wir die Welt wahrnehmen und uns denkend, sprechend und handelnd mit ihr auseinandersetzen. Für die alten Griechen war klar, das wir mittels unserer Sinneswahrnehmungen und mittels unseres Verstandes die Welt wahrnehmen und erfassen können. Für Sokrates war es vornehmlich das Staunen über die Welt und der innere Dialog als eigentliche Form des Denkens, die sich als Dialog mit anderen Menschen und deren Wahrnehmungen fortsetzte. Im gemeinsamen Dialog über die Wahrnehmungen und das gemeinsame Denken war Welterfahrung und in der Welt sein möglich. Auch wenn jeder Einzelne sich selbst aus der Welt der vergänglichen Dinge in die Welt des geistigen Seins begeben muss, so ist dies doch nur mit Unterstützung als gemeinschaftliches Unternehmen möglich.

Unsere Sinne täuschen uns - und was ist dann Gewissheit?
Galileo zeigte dann mit einem einfachen technischem Gerät, dass unsere Sinnesorgane uns täuschen. Dass die Wahrnehmung, die Sonne gehe auf und unter falsch ist und stattdessen die Erde um die Sonne kreist. Die Entdeckung Galileos fand in einem jetzt schon christlichem Umfeld statt. Die Folge war, dass man sich fragte, was dass denn für ein Gott sei, der den Menschen so täusche. War Gott einfach ein Filou, der sich daran erfreut, den Menschen in die Irre zu leiten? Déscarte machte daher gar nicht mehr den Versuch eines Gottesbeweises, sondern es ging ihm um Theodizee, also den Nachweis, dass Gott gut sei. Doch da er seinen Sinnen ja nicht mehr trauen konnte, musste er den Weg über den Verstand gehen. Die einzige Gewissheit der eigenen Existenz konnte er darin finden, dass er das Erlebnis, das er denkt nicht abstreiten konnte. Indem er das cogito ergo sum (ich denke, also bin ich) als minimal Gewissheit der Existenz eines Selbst postulierte, verlegte er diese aus der äußeren Welt nach innen, in den Verstand.

Der Preis für das Ausräumen des Zweifels war enorm hoch. Denn indem ich mich auf die Prozesse der Wahrnehmung eines Baumes konzentriere, muss ich doch feststellen, dass ich - egal wie gut ich meine Selbstreflektion und die Prozesse der Wahrnehmungspsychologie verstehe - dem Baum selbst kein Stück näher komme. Ich erfahre nur etwas darüber, wie ich sehend und denkend mir selbst die Welt in meinem Inneren wahrnehmend schaffe. Diese Subjektivierung von Wahrnehmung war ein wichtiger Schritt zu einer neuen Art, die Welt zu erkennen. Statt dem Staunen über die Welt und der dialogischen Vergewisserung mit anderen, ging es jetzt darum sich dafür zu interessieren, wie die Welt funktioniert. Der Verstand entwickelt Theorien und Modelle und überprüft diese dann experimentell.

Nicht contemplativ die Welt erleben, sondern aktives Tun führt zu Welterkenntnis
Man konnte der Welt also nicht mehr contemplativ begegnen, sondern nur noch aktiv. Und dafür brauchte man Technik. Newtons Genialität lag darin, dass es ihm als ersten gelang, eine Formel zu entwerfen, die die Bewegung der Körper sowohl auf der Erde als auch im Universum korrekt abbildete. Wesentlich war aber, dass er seine Formel beweisen konnte, indem er experimentell zeigte, wie sie funktioniert. Anders ausgedrückt, er hatte einen Weg gefunden, sich der Natur so zu nähern, wie Gott dies tat. Indem er den Prozess nachbilden konnte, wie Gravität funktionert, konnte er zeigen, dass seine Formel richtig war. Erkenntnis fokussiert sich seitdem auf die Frage, wie etwas funktioniert (also Prozesse) und die geschaffenen Theorien entscheiden sich daran, ob sie durch Experiemente bewiesen werden können.

Damit verschob sich jedoch auch das Interesse der Menschen vom Warum und Was auf das Wie. Experimentel wurden jetzt die Vorgänge in der Natur nachgebildet, um zu verstehen, wie sie funktionieren. Dafür brauchte man technische Geräte, die man dafür entwickeln musste. Interessanterweise geschah dies in einer Zeit, in der die Akkumulation von Kapital bereits so weit vorangeschritten war, dass es möglich war, dafür Finanziers zu finden. So wurde die Uhr entwickelt, um für bestimmte Experiemente exaktere Messungen zu ermöglichen (z.B. die Vermessung der Umlaufbahn der Venus um die Sonne). Die praktischen Verwendungsmöglichkeiten der Uhr, die ja heute unser Leben so stark bestimmen, waren gewissermaßen nur Nebenprodukte der technischen Entwicklungen. Statt die Welt staunend komtemplativ zu erkennen, ging man jetzt davon aus, dass man die Welt erkennen kann, indem man, ausgestattet mit Technik, aktiv agiert und die Prozesse nachbildet, die in der Natur funktionieren. Verstehen bedeutet seit der Neuzeit zu vestehen, wie die Prozesse funktionieren, die etwas hervorbringen, herstellen oder fabrizieren. Doch da Déscarte ja gezeigt hatte, dass der Zweifel an der eigenen Existenz nur dadurch getilgt werden kann, indem wir das Erleben in den subjektven Verstand verlegen, kann das neuzeitliche Denken nur beweisen, was der Verstand vorher erdacht hat. Im Grunde schauen wir mit jeder neuen Erkenntnis nicht in die Welt, sondern nur in den Spiegel, in dem wir uns selbst sehen. Wir erleben nicht mehr gemeinsam eine Welt, sondern wir können nur noch nachweisen, dass alle Exemplare der Menschheit im günstigsten Fall verstandesmäßig gleich funktioniern.

Eine Folge davon ist eine grundlegende Weltentfremdung. Wir können zwar verstehend nachvollziehen, wie alles funktioniert, wir haben Theorien darüber, wie das Weltall entstanden ist, wie das Leben sich entwickelt hat und wir haben Geräte, die alles mögliche herstellen und fabrizieren können. Doch all die Prozesse, die wir schaffen sind wieder nur Ergebnisse von gedanklichen Prozessen und dass sie funktionieren erlaubt keine Rückschlüsse darüber, ob sie ausser zweckmäßig auch sinnvoll sind. Die Philosophie verabschiedete sich aus dieser Domän und trägt seitdem im Grunde der Naturwissenschaft nur noch die Schleppe hinterher, wie es Kant ausdrückte. Und die Naturwissenschaften wurden zu Geschichtswissenschaften, die versuchen die historischen Prozesse nachzubilden, wie etwas sich entwickelt hat.

Der Mensch stellt sich außerhalb der Natur
Dieses abendländische, neuzeitliche Denken hat erst ermöglicht, dass wir uns der Natur wie einem äußeren Objekt gegenüberstellen, als seien wir nicht ein Teil von ihr. Wir konnten uns die Welt mittels Technik untertan machen, Prozesse erfinden, die es so in der Natur nicht gibt und die Welt buchstäblich als Europäer erobern und unterwerfen.

Die Moderne treibt den Prozess dann noch einen entscheidenden Schritt weiter. Das Leben selbst tritt in den Mittelpunkt. Und damit die banalste aller Philosophien und Ansprüche des Menschen an sich selbst. Die Moderne verherrlicht die Arbeit und stellt somit die Tätigkeiten, die im Grunde dem Erhalt des eigenen Lebens dienen, in den Mittelpunkt.

Die aktuelle Konsumgesellschaft wirkt wie ein Verstärker für die Weltentfremdung, indem sie die Dinge, die wir zum Gebrauch produzieren und die Teil unserer Welt sind, zu Konsumgütern entwertet, die möglichst schnell wieder durch neue Konsumgüter ersetzt werden sollen. Hier offenbart sich der Widersprüch zwischen einen Zweck erfüllen und völliger Sinnlosigkeit der von uns entwickelten Prozesse besonders drastisch. Die großen Fragen unserer Zeit werden sich daran entscheiden, ob es uns gelingt, wieder mehr gemeinsam sinnstiftend zu handeln.

Von der Freiheit zu sprechen und zu handeln
Für Hannah Arendt bleibt der Mensch solange unfrei, wie er Zwecke verfolgt. Indem die Neuzeit jedoch den Zweck ins Zentrum stellte, und die Moderne die Erfüllung der Lebensnotwendigkeiten selbst, bleibt der Mensch unfrei. Frei ist der Mensch dort, wo er spielt hat Schiller gesagt. Was er damit meint ist, dass Menschen dort frei sind, wo sie sprechen und handeln, ohne einen Zweck zu erfüllen und gerade dadurch sinnstiftend sind, indem ihr Austausch unter Gleichen Raum für Neues schafft. Dies ist auch in der Kunst der Fall. Sie erfüllt idealerweise keinen Zweck und insbesondere der Schaffungsprozess ist fragil und ohne Bestand. Kunstwerke erfüllen keinen Zweck, sie sind im besten Falle anregend und indem wir sie betrachten, aktualisieren wir erneut ihren kreativen Prozess. Wir treten in einen Dialog ein. Dies kann zutiefst sinnstiftend sein und zu neuen Gedanken und Handlungen anregen. Der Unterschied zwischen Zweck und Sinn scheint heute fast verloren gegangen zu sein, indem der Sinn im Zweck aufzugehen droht. Die Tatsache, dass ich als Mensch mit meinem Sprechen und Handeln in Gemeinschaft mit anderen Sinn stiften kann, gehört mit zu den erfüllensten Erlebnissen, die wir als Menschen haben können. Für Victor Frankl ist es das existenzielle Bedürfnis schlechthin.

Mediation ist Teil einer umfassenden Bewegung
Wir können sinnstiftend in vielen Bereichen handeln und nicht nur Zwecke erfüllen und Ziele erreichen. Sinnstiften geht genauso wie Sprechen und Handeln nur gemeinsam. Hannah Arendt spricht vom Menschen als einem pluralistischen Wesen, denn nur zusammen mit anderen können wir eine Welt schaffen. Eine Welt, die aus unterschiedllchen Perspektiven, Meinungen und Ansichten entsteht, die offen und ohne Repression miteinander ausgetauscht werden und dadurch überhaupt handeln erst ermöglicht.

Die Gegenwart zeigt uns in vielen Bereichen, dass dies möglich ist. Wir suchen neue Formen des Zusammenlebens und arbeitens. Co-Working Spaces, Sharing statt besitzen, Gemeinschaften, die die Vielfalt der Meinungen, Perspektiven und Ansichten suchen, und die dafür kreativ und vielfältig sein wollen. Neue Formen des Miteinanders, die sich selbst organisieren. Die Komplexität und prinzipielle Unvorhersehrbar der Welt läßt uns skeptisch gegen die Planbarkeit und das Steuern durch wenige werden. Sie läßt uns das Miteinander und die Vielfalt von Perspektiven neu wertschätzen und neue Formen der Kommunikation und der Organisation von Unternehmen, Vereinen und politischer Mitwirkung suchen und ausprobieren. Gleichzeitig läßt sie uns erleben, dass wertschätzender und gleichberechtigter Austausch und der Umgang mit Vielfalt und Unterschiedlichkeiten nicht voraussetzungslos ist.

Priya Basil sagt: "Wir entwickeln neue Formen von Gemeinschaft, in denen alle, die da sind, teilhaben. Jede nach ihren Fähigkeiten und jede nach ihren Bedürfnissen. Wir haben Lust voneinander zu lernen."

Es erfordert vielfältige Kompetenzen und gereifte Persönlichkeiten, Wissen und Erfahrungen, um sich mit anderen Perspektiven und Ansichten konstruktiv auseinander setzen zu können. Viele Menschen sind überfordert von Vielfalt und reagieren mit Abwehr und starren Konzepten. Sie artikullieren die Sehnsucht nach Narrativen, die ihnen Sicherheit und Identität vermitteln.

Räume schaffen, die das Potential haben, sinnstiftend Neues zu schaffen
Kompetenzen für den Umgang mit Vielfalt und Unterschiedlichkeit brauchen Räume zur Entwicklung und Einübung - das ist nicht nur eine Bildungs-, sondern auch eine soziale Frage von Teilhabe und Mitwirkung. Dass dies auch bis in den politischen Raum hinein gelingen kann, zeigen Modellprojekte von "Bürgerräten", in denen zufällig ausgewählte Menschen miteinander Konzepte und Perspektiven für eine bessere Zukunft entwickeln. Diese positiven Beispiele zeigen, dass Menschen die entsprechenden Fähigkeiten zum Miteinander aktivieren können, wenn dafür die notwendigen Räume und Strukturen geschaffen werden. Die Herstellung dieser Räume wiederum ist eine eigene Kompetenz, die für den Erfolg dialogischen Denkens unabdingbar ist.

Mediation ordnet sich in diese breite Bewegung ein. Mediation ist nicht auf die Regelung von Konflikten zu reduzieren. Mediation hat das Potential Räume und damit die Voraussetzungen für das Entstehen und den Austausch vielfältiger und unterschiedlicher Perspektiven zu schaffen. Indem sie es Menschen ermöglicht, zunächst einmal nur über sich und ihre Perspektiven zu sprechen, ohne dass gleich danach gefragt wird, wie das denn funktionieren soll. Räume, in denen die Unterschiedlichkeit akzeptiert und als Bereicherung wahrnehmbar wird und damit die Voraussetzung für wahrhaftiges Verstehen bereitet wird. Dadurch, dass gemeinsam besprochen wird, wieso ihnen das wichtig ist, treten wir ein in einen dialogischen Raum, der eine neue Welt erschafft. Damit wird es möglich auf diaglogische Art zu reflektieren und aus dem üblichen Gegeneinander in ein miteinander denken zu gelangen. Im Sinne Hannah Arendts handelt es sich dabei um einen Erscheinungsraum. Als solcher ist er zerbrechlich und vergänglich, doch gerade darin liegt sein großes Potential. Im ihm können Gedanken, Sichtweisen und Bedenken offen geäußert und aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Daraus ergibt sich eine Art von Macht, die immer dann entsteht, wenn Menschen als Gleiche unter Gleichen gemeinsam denken und handeln. Sie ist, so Hannah Arendt, "immer ein Machtpotential, und nicht etwas Unveränderliches, Messbares, Verläßliches wie Kraft und Stärke." Idealerweise entstehen daraus dann neue Perspektiven, die gemeinsames Handeln ermöglichen, das für alle sinnstiftend ist und die Welt neu gestalten kann.

Das Unmögliche möglich machen
In üblichen Settings wird das geschaffen, was wahrscheinlich gewesen wäre. So als ob die Zukunft immer die Fortsetzung der Vergangenheit und Gegenwart sein muss. Die Mediation schafft den notwendigen Erscheinungsraum, in denen auch das möglich wird, was vorher unmöglich, ja undenkbar erschien. Und so können wir eine Zukunft erschaffen, in der das, was unmöglich erschien, möglich wird. Dieses Potential, das Unmögliche zu denken und dadurch erst möglich zu machen, ist nach Alfred Hirschmann die Voraussetzung dafür, dass wirklich Neues entstehen und eine neue, eine bessere Zukunft Realität wird.

Die Haltung der Mediation, ihre Kompetenzen und Fähigkeiten sind daher ein wichtiges Angebot für die Gesellschaft, um eine Welt zu schaffen, in der Vielfalt und Gleichberechtigung aller Menschen tatsächlich möglich wird. Je mehr Menschen in Organisationen, Unternehmen, NGOs und Gruppen diese Fähigkeiten erwerben, desto höher wird das Potential, dass mehr Erscheinungsräume entstehen, in denen Menschen sich als Gleiche unter Gleichen begegnen, und sprechend und handelnd sinnstiftend an einer neuen Zukunft mitwirken.

Es sind dieser utopische Aspekt der Mediation und ihr Charakter einer Kunst, die überall dort aktualisiert werden, wo der Erscheinungsraum der Mediation sich herstellt, die uns tagtäglich begeistern. Wenn wir Mediation anbieten, schaffen wir Räume in denen Menschen sich als freie Wesen als Gleiche denkend und handelnd begegnen und damit Neues schaffen, das für sie sinnvoll ist.

 

 



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