Peace is Power

Höchstwahrscheinlich geht es Euch ebenso: Fassungslosigkeit und Bestürzung über das Leid, dessen Zeuge wir jeden Tag werden. Die gezielten Angriffe auf Menschenleben und darüber hinaus auf Demokratie, Menschenrechte und die Zerstörung der Geltung des Rechts als Grundlage unseres Zusammenlebens lokal und global. Wir leben in Zeiten multipler Krisen, denen gegenüber die Zeiten des kalten Krieges übersichtlich und stabil wirken und die uns zu überwältigen drohen. Jede und jeder findet dafür eigene Strategien des Umgangs. Rückzug aufs Land, Familie, aber auch Krankheit und Vereinzelung.

Wenn wir uns nicht nur als Individuen, sondern vor allem auch als Teil dessen verstehen, was wir als Menschheit beschreiben, dann müssen wir auch Antworten auf diese Angriffe finden, die durch Gemeinschaft und Kooperation geprägt sind. Das ist einfacher gesagt als getan. Die meisten von uns sind bereits durch ihren Alltag so eingespannt, dass dafür schlicht keine Zeit, keine Ressourcen oder auch keine Nerven vorhanden sind. Die enorme Beschleunigung unseres Lebens durch die gar nicht mehr so neuen digitalen Medien, die Geschwindigkeit der Veränderungen durch den Vormarsch der KI und die permanente Bedrohungslage, die immer weiter zu eskalieren scheint, haben auf viele von uns eine lähmende Wirkung - oder sie verstärken die Tendenz, sich abzuwenden und sich ins private zurückzuziehen.

Wo und wie schöpft man in solchen Zeiten Kraft. Die, die gut eingebunden sind in soziale Netze wie Familie und Freunde können sicher hier Kraft schöpfen. Für viele, auch für mich, eröffnet daneben und ergänzend die Kunst Räume und Experimentierfelder. Für mich ist die Kunst eine der Kräfte, die aus ihrer spezifischen Freiheit heraus, Wahrnehmungen erweitern, neue Perspektiven eröffnen und scheinbar sichere Wahrheit in Frage stellen kann.

Erst kürzlich waren wir in der Ausstellung „Music of the Mind“ von Yoko Ono im Martin-Gropius-Bau in Berlin. Diese Ausstellung wurde ergänzt durch eine weitere „Dream Together“ in der Neuen Nationalgalerie. Die Ausstellungen luden das Publikum zur aktiven Teilnahme ein und zeigten ihre partizipativen Kunstwerke, wobei die im Martin-Gropius-Bau eine umfassende Retrospektive ihres Schaffens war. 

Nun kann man in den Martin-Gropius-Bau nicht gehen, ohne von seiner Geschichte erfasst zu werden. Gebaut als Gewerbemuseum haben alle Gewerke hier miteinander im Wettstreit gelegen und jeweils das Beste ihrer Handwerkskunst geschaffen. Wenn man ihn heute betritt, dann darf man erleben, wie das Miteinander der Gewerke hier nicht Konkurrenz, sondern ein Ganzes geschaffen hat, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Der Respekt vor der kunstvollen Arbeit der Meister ihres Faches überträgt sich auf jeden Besucher und jede Besucherin und das Ganze, was aus dem Miteinander der Gewerke entstanden ist, eröffnet Räume und Perspektiven und feiert den Menschen als zutiefst soziales Wesen, das sich gegenseitig fördern kann in seinem Bestreben, die beste Version ihrer selbst zu werden.

Doch bevor ich weiter schwärme. Was ich sagen will ist, dass der Besuch solcher Räume an sich schon gegen die Widrigkeiten der Gegenwart hilft. Dies vielleicht auch deshalb, weil der Eindruck vielfältig gemischt ist, deshalb möchte ich teilen, wohin meine Gedanken reisen, wenn ich den Martin-Gropius-Bau heute betrete.

Mir ist noch sehr vor Augen, dass wir in den 80er Jahren direkt an der Mauer entlang gingen, um zum Haupteingang dieses im Krieg schwer zerstörten und dann erst spät und zunächst nur notdürftig restaurierten imposanten Gebäudes zu kommen. Meist betrat man den Bau damals durch den - heute verschlossenen -Seiteneingang, vom Parkplatz aus kommend. Vom Hauptportal, das etwas erhöht liegt, konnte man auf das Gebäude des gegenüberliegenden preußischen Landtages schauen, der genau auf der gegenüberliegenden Strassenseite - jenseits der Mauer lag. Schaute man etwas weiter nach rechts, dann sah man den riesigen, klotzigen Bau des Reichsluftfahrtministeriums, das in den 80er als Haus der Ministerien diente und jetzt das Finanzministerium beherbergt (es sind so viele schöne Gebäude in Berlin zerstört worden, warum nicht dieses hässliche?). Und wendete man sich noch etwas weiter nach rechts, wenn der Blick wieder über die Mauer zurück nach West-Berlin ging, dann sah man ein Berg-und Talgelände, scheinbar verwahrlost, auf dem Go-Carts mit lautem Motorengebrüll ihre Runden drehten. Hier hatte sich die Gestapo-Zentrale befunden. Sie war vollständig zerstört und im West-Berlin der 80er Jahre aus dem kollektiven Gedächtnis gestrichen und buchstäblich verschüttet worden. Erst sehr viel später wurde hier - auf Betreiben von aktiven Historikern - die Gedenkstätte errichtet, die man heute besichtigen kann.

Kurz, ein Besuch des Martin-Gropius-Baus ist ein typisches Berlin-Erlebnis. Jeder gegenwärtige Eindruck ist eingebettet in Geschichte, die hier überall lebendig ist. Anfangs, bei einer der ersten Ausstellungen in diesem Bau, als er in den 80er Jahren für die Berliner wieder eröffnet wurde, war die Innenrenovierung noch nicht abgeschlossen gewesen. Ich mochte diese Un-Perfektion, das offene Mauerwerk, die Reste von alten Wandfarben und der Gegensatz, den sie zu den bereits prächtig restaurierten Säulen und Wänden bildeten.

Doch zurück in die Gegenwart - zur Ausstellung von Yoko Ono. Das, so meine ich, so überzeugend Verrückte an ihrer Arbeit ist die unbedingte Maxime und der offenbar unerschütterliche Glaube an die Imagination. Hinzu kommt ihre Denkart, das Kunst im Miteinander und durch die Aktionen vieler Einzelner entsteht. Viele ihrer Kunstwerke sind reine Imaginationen. Ihre Performances, die man heute noch auf Videos sehen kann, oder die letzten Sonntag vor der Nationalgalerie wieder durchgeführt wurden, existieren nur, weil Menschen mitmachen. Ganz unmittelbar erleben wir, dass wir gefragt sind, dass unsere Aktionen einen Unterschied machen. Diese Kunst flieht damit nicht in die Romantik, wie - passend zu unserer Zeit - bei dem jetzt wieder so populären Caspar David Friedrich, mit seinen Risiken der Flucht aus der Realität. Vielmehr werden wir eingeladen uns aktiv einzubringen, mit unseren Wünschen, Hoffnungen und Ängsten. So auch in ihrer Installation “ was ich meiner Mutter sagen möchte” - in der Tausende von Menschen auf kleinen Zetteln Botschaften an ihre Mütter - lebend oder bereits verstorben - während der Ausstellung geschrieben haben.

Peace is Power ist ein mächtiger Satz. Er transformiert einen Zustand zu einer Kraft und damit zu etwas, das wir nutzen können, um genau das zu erreichen. Mit solchen Säten gelingt der Kunst die Öffnung von Möglichkeitsräumen und sie zeigt, dass es sinnvoll ist, darüber nachzudenken, wie und was wir denken. Und in der Ausstellung wird es unmittelbar performant. Denn an die Wunschbäume, die im riesigen zentralen Saal des Ausstellungsgebäudes stehen, kann jeder Besucher:in ihre Wünsche auf kleinen Zetteln aufschreiben und anhängen. Das mag manchem eitel und klein erscheinen, tatsächlich fordert es Dich auf nachzudenken, zum Stift zu greifen und Deine Gedanken aufzuschreiben und den Zettel aufzuhängen - Deine Gedanken mit anderen zu teilen und Teil von etwas zu werden. All dies sind Erfahrungen, die Du mit in die Welt nehmen kannst und wirst. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Und damit bin ich - endlich - bei unseren mediativen Kompetenzen angelangt. Mediation ist für uns vor allem die Fähigkeit des Verstehens. Und wir wissen, wir können andere (und uns selbst) besser verstehen, wenn wir immer wieder die Anstrengung unternehmen, die Dinge, Menschen, Themen aus unterschiedlichen, überraschenden, komischen , albernen oder tragischen, detailorientierten oder ganzheitlichen Perspektiven zu sehen. Und wenn wir unsere Wahrnehmungen und Gedanken mit anderen teilen, sie in Worte fassen, in Bilder, Geschichten und Metaphern und damit den Austausch suchen.

Kunst und Künstlern verdanken wir, dass wir unsere je eigenen Tendenzen uns entweder unserer Gewissheiten zu sicher zu sein, oder aber zu glauben, wir sind mit unserer Verzweiflung über die Unsicherheit der Welt ganz alleine, überwinden können. In Zeiten wie unseren ist das nicht wenig. Es kann uns die Kraft geben, die wir brauchen, um uns die Welt anders, besser vorstellen zu können. Und wir wissen auch aus der Geschichte: Jeder Epoche des Aufschwunges ging eine Ära mit positiven und optimistischen Zukunftserzählungen voraus. Wenn wir also aus dem Martin-Gropius-Bau heraustreten und durch den Besuch eine Ausstellung, oder eines Theaterstückes, einer Oper oder einem Konzert wieder Kraft für das Wunderbare haben - dann frage ich mich schon, warum ich das nicht noch öfter mache. Peace is Power und man möge ergänzen, Art is Power.

In diesem Sinne.

Eurer

Thomas


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Und was, wenn ich selbst Konfliktpartei bin?